Blog Archiv 2016 - von Andrea Schmölzer
Biergenuss seit 1808
Im Auto höre ich B5 aktuell: „In Deutschland gibt es rund 1300 Brauereien, die Hälfte davon in Bayern.“ Danke B5, Euer Radiobeitrag zum 500-Jahr-Jubiläum des Reinheitsgebots war die ideale Einstimmung auf meinen Termin bei der Mittenwalder Brauerei. Marion Neuner, Chefin der Privatbrauerei, hat sich freigeschaufelt, um mit mir zu plaudern: über den Hype um bayerisches Bier und das Reinheitsgebot, das Frau sein im Brauwesen, den Trend zu Craft-Bieren, sowie über den Reiz, mit über 200 Jahren Geschichte im Gepäck modern zu wirtschaften.
Neuner kommt voll Energie aus ihrem Büro ins Vorzimmer. An der Wand hängen die Porträts der Ahnen, die den 1808 gegründeten Betrieb 1860 übernahmen. „Das ist der Urgroßvater meines Mannes. Wir betreiben die kleine handwerkliche Brauerei jetzt schon in vierter Generation.“ Weiter rechts steht eine ganze Reihe von hübsch gestalteten Biergläsern auf einem Regal. Ein Traum für Sammler, schätze ich. Auf der Fensterbank stehen Bierflaschen mit bunten Etiketten.
Was ist Ihr Lieblingsbier, Frau Neuner?
„Ein Helles, am liebsten unser Märzen!“, kommt wie aus der Pistole geschossen. Der Name stammt aus der Zeit, als es noch keine Kühlmaschinen gab. So wie die Forderung, Weißwürste vor dem 12- Uhr-Läuten zu essen. Wer Bier mit untergäriger Hefe braut, braucht schließlich für die Gärung Temperaturen um die Null Grad. So beendete der Monat März früher in der Regel die Brausaison.
Und welches Mittenwalder Bier geht am besten?
„Etwa 60 bis 70 Prozent unseres rund 15.000-Hektoliter-Ausstoßes im Jahr ist Helles“, erklärt Neuner. Dunkles Bier werde jedoch immer beliebter. Durch das harte Wasser in weiten Teilen Bayerns war das Dunkle früher ohnehin das Gängigere. Durch den Umstieg vom Bierkrug aufs Glas und immer mehr Touristen aus nördlichen Gefilden stieg im Laufe der Zeit allerdings die Nachfrage nach „hellen“, gefilterten Bieren. Zur Erinnerung an die gute alte Zeit, als das Bier in Bayern noch dunkel war, haben wir zum Jubiläum des Reinheitsgebots die „Posthalter-Spezialität Nr. 1“ gebraut. Der Urahn, Johann Baptist Neuner war schließlich nicht nur Brauer, sondern auch königlicher Posthalter in Mittenwald.
Wie weit wird das Mittenwalder Bier geliefert?
Aber im großen Stil forciert sie das nicht. Mittenwalder Bier wird weder pasteurisiert noch stabilisiert, es muss gekühlt transportiert werden. „Für Exportbier muss ich den Alkoholgehalt erhöhen oder die Hopfung verstärken, damit sie den Transport gut überstehen.“ Doch das sei nicht ihr Bier. Sie setzt vor allem auf Frische und kurze Wege.
Wie fühlen Sie sich als Frau in der Männerbranche?
Seit mehr als 30 Jahren ist Marion Neuner schon in der Brauerei tätig, seit dem Tod ihres Mannes als Geschäftsführerin. Ihr Sohn kümmert sich nach seinem Brauwesen- und Anlagenbau-Studium um die Technik. Ich erlebe sie als offene Gesprächspartnerin und eloquente Geschäftsfrau mit einem gesunden Selbstbewusstsein. So tritt sie vermutlich auch Branchenkollegen gegenüber, denn sie meint: „Die Brauer sind charmant, ich fühle mich geschätzt“. Ein „Was willst denn du da?“ hat sie noch nie gehört. Respekt!
Das deutsche Reinheitsgebot – Ist das nur Show oder bringt es auch etwas?
„Haben Sie beim Bierkauf jemals auf das Etikett geschaut?“, fragt Marion Neuner herausfordernd lächelnd. – Eben. „Das Reinheitsgebot stammt ja eigentlich aus Bayern und gibt Sicherheit. Bayerisches Bier genießt nicht nur die geschützte EU-Ursprungsangabe, sondern unheimlich großes Vertrauen beim Verbraucher“. Der Hype um bayerisches Bier verschafft auch kleinen Brauereien wie der Mittenwalder einen Wettbewerbsvorteil: Getränkeketten handeln neuerdings deutschlandweit mit bayerischen Bierspezialitäten. „Das sind interessante Kunden, und so kann man durchaus auch in Berlin auf Mittenwalder Bier stoßen“.
Frau Neuner, was soll die Diskussion um Craft Beer?
„Die Craft Beer Bewegung (aus der USA) favorisiert geschmackvollere, gehaltvollere Biere, abseits des Einheitsgeschmacks. So gesehen waren wir schon immer eine Craft-Beer-Brauerei“, meint Neuner amüsiert. „Bei uns wird jeder Sud einzeln eingebraut, vergoren und im Durchschnitt sechs bis acht Wochen gelagert, um seine ganz persönliche Note zu entfalten. Das rentiert sich für Großbrauereien schlicht und einfach nicht.“
Hier kommt der B5-Beitrag wieder ins Spiel. Die über 600 Braustätten in Bayern sind viele kleine, die manchmal nur für die eigene Gaststätte produzieren. Da ist Vielfalt selbstverständlich. Auch wenn extreme Craft Biere mit abenteuerlichen Geschmacksrichtungen nie zu Mainstream würden, begrüßt Marion Neuner den Trend: „Erstmals seit langem steigt die Zahl der Brauereien. Und Bier hat endlich wieder mehr Aufmerksamkeit.“
Aber macht Ihnen der sinkende Bierkonsum nicht zu schaffen?
Marion Neuner nickt: Die Demographie, das Stammtisch-Sterben, die Überkapazität, auch bedingt durch Großbrauereien, die sich eine Preisschlacht über den Handel liefern, das sei alles richtig. „Aber das trifft uns nicht so. Wir arbeiten meist jahrzehntelang mit unseren Abnehmern zusammen, setzen auf regionale Verbundenheit. Treue Kunden sichern unser Überleben“. Das glaub‘ ich ihr. Auf den Hütten , in den Wirtshäusern und Biergärten rund um Mittenwald , Krün und Wallgau , … wo immer man eine Halbe bestellt, meist Mittenwalder Bier.
Und wie geht die Brauereichefin mit Tradition um?
"Wir arbeiten in diesem Gebäude seit 1896, wo dir die Tradition überall entgegenspringt. Modernisieren ist hier eine riesen Herausforderung.“ Ja klar, Brandschutz, Berufsgenossenschaft, jede Menge neue Auflagen muss sie einhalten, altes Gebäude hin oder her. „Das ist wesentlich aufwändiger als auf der grünen Wiese“, stellt Marion Neuner klar.
Doch ich höre kein Bedauern, kein Jammern, nicht ansatzweise. Neuner sieht Tradition auch als Verpflichtung … und als Leidenschaft. Die lebt sie vor allem im hauseigenen Museum im Dachgeschoss aus. Mehr als 200 Jahre Brau-Tradition und ein bisschen Nostalgie hat sie hier detailfreudig gestaltet. Faszinierend, der Charme der alten Technik und all die Geschichten dazu!
Der Rundgang durch die Brauerei geht mir dann zu schnell, hier könnte ich Stunden verbringen: Wir kommen gerade rechtzeitig zur Abfüllanlage, wo die letzte Charge Posthalter-Spezialität in Flaschen gefüllt wird. 5000 Flaschen pro Stunde. „Ein Klacks im Vergleich zu den Kapazitäten der Großbrauereien“, so Neuner.
Dann laufen wir über breite, tausendfach betretene Holzbohlen, an Fässern, alten Werbetafeln und Leuchtbuchstaben zwei mannshohen Bluna-Flaschen vorbei (Klasse!). An der Wand des 100 Jahre alten Sudhauses hängt ein kunstvolles Schild des Maschinenlieferanten (soooo schön, warum macht das heute kein Industrie-Designer mehr?), dann die historische Schlosserei: „Die stammt aus einer Zeit, als es in Mittenwald weder Wasser noch Strom gab. Jede einzelne Schraube musste selbst hergestellt werden“, berichtet Neuner.