Blog Archiv 2019 - von Andrea Schmölzer
Eisstocksport für alle
Wer ist näher an der Daube? – Das ist die alles entscheidende Frage. Mit Ehrgeiz, gelegentlich Naturtalent, aber vor allem viel Spaß schwingen Gäste und Einheimische ihre Eisstöcke. Ich mische mich darunter und erlebe, wie Hans und Stephan den bayerischen Volkssport vermitteln. Motivation pur.
Die Schützen
Das Hütterl des EC Krün trägt eine dicke Schneehaube, die Wintersonne lässt die Eisfläche glitzern, an ihrem Rand klingt Volksmusik aus den Lautsprechern, dahinter ragen Karwendel und Soiernberge auf. Davor wartet gespannt eine kleine zusammengewürfelte Truppe: Irmgard und Siegfried aus der Nähe von Köln, Bärbel 1 und Steffen aus dem Schwarzwald, Herbert aus Bochum und ich – Wahl-Oberbayerin aus Österreich. Bärbel 2 und Dieter aus Freising (aber ursprünglich Dortmund) wollten eigentlich spazieren gehen, folgen aber spontan unserer Einladung mitzumachen. Die Schwarzwälder und Herbert haben schon des Öfteren Eisstock geschossen, ich hab’s bisher erst zweimal probiert und wurde als „Bahnschreck“ des Platzes verwiesen, Bärbel 2 und Dieter sind blutige Anfänger.
Fachchinesisch – äh -bairisch
Unsere Betreuer, Hans vom EC Krün und Stephan vom EC Barmsee haben es also mit einem recht bunten Team zu tun. Doch Halt! – Beim Eisstockschießen in Bayern sind vier Schützen kein Team, sondern eine „Moarschaft“. Ihr Käpt‘n ist – natürlich – der „Moar“. Der schießt normaler Weise mit, aber wir sind ja schon acht Gäste. Somit verlegen Stephan und Hans sich aufs Betreuen. Und wie!
Zuerst erklärt Hans die Regeln. Wir spielen eine Partie mit sechs „Kehren“ (Runden), Moarschaft 1 hat auf einer Seite, Moarschaft 2 auf der anderen Seite der 25 Meter langen Bahn Anschuss. Wenn einer eine „guate Mass gelegt“ – also möglichst nahe an der Daube steht, sind die anderen so lange dran, bis sie näher an der Daube sind. Auch wie man punktet, ist schnell klar: Wer innerhalb des drei mal sechs Meter großen Zielbereichs am nächsten dran ist, kriegt für den ersten Stock 3, für den Zweit-, Dritt- und Viertnächste jeweils 2 Punkte. Also sind maximal 9 Punkte pro Kehre zu holen. Wer die meisten Punkte hat, gewinnt. So weit, so gut.
Wer wird wohl zusammen in einer „Moarschaft“ sein!?
Doch die meisten von uns kämpfen erst einmal mit der Technik und starten zur Proberunde. „Dreimal läuten“, empfiehlt Hans bestens gelaunt, aber immer mit der nötigen Autorität. Um dann gleich klarzustellen, dass jeder natürlich so oft schwingen könne, wie er lustig sei. Er kenne auch Kollegen am Eis, die 20 Mal „läuten“, bevor sie endlich den Stock aufs Eis setzen. Bärbel 2 probiert’s gleich aus. Sie hat offenbar Talent. „Sauber, des war guat aufg’setzt“, lobt Hans. Das heißt, sie hat zur richtigen Zeit mit der richtigen Portion Schmackes losgelassen. Nebenbei erfahren wir, dass das Eis für die Stockbahn ganz bewusst angeraut wird und rein gar nichts mit der spiegelglatten Oberfläche der Curling-Leute gemein hat. Schließlich zieht jeder nach einigen Testschüssen eine Karte; Jeweils vier bilden eine Moarschaft und hängen kleine Kärtchen mit „1“ oder „2“ auf ihre Stöcke. Dann geht’s los.
Ein Lehrstück in Motivation
Das bayerische Motto „Ned g’schimpft is g’lobt gnua“ (heißt in etwa: „Wenn ich nichts kritisiere, ist das genug Lob.“) ist unseren „Moar“ Hans und Stephan offenbar fremd. Sie spielen in Sachen Motivationstechnik in einer ganz anderen Liga!
Immer wieder gibt Hans Tipps, vor allem, wie man die Füße in die Halterungen am Eis setzt, nah am Körper schwingt, am Schluss beschleunigt und dabei IMMER nach vorne auf die Daube schauen sollte. Stephan und er loben anerkennend, wenn einer gut aufsetzt oder seinem Stock genau das richtige Tempo mitgibt. Sie trösten aber auch lachend, wenn ein Stock „verhungert“, also auf halbem Weg stehen bleibt. Beide „Moar“ stellen sich dicht hinter die Daube und nutzen Käppi oder Mütze als Visier, um uns das Zielen zu erleichtern. Ein „Jawoll“ samt Hand hoch heißt, dass der Schütze seiner Moarschaft „hat“, also am nächsten dran ist. Und ich persönlich bin zutiefst dankbar, dass Hans selbst dann positiv bleibt, als mein Stock – peinlich! – an der Kante aufschlägt und Löcher ins Eis haut. „Wer wirft, hat keinen Schwung. Aber des werd‘ scho‘“, baut mich der erfahrene Stockschütze auf. Auch meine Teamkollegen nehmen so manchen Fehlschuss gelassen und humorvoll.
Beste Unterhaltung
Besonders groß ist das Hallo, wenn einer der Stöcke feste auf die anderen im Zielbereich trifft und so die bisherige Rangfolge völlig durcheinanderwirbelt. Mit einem dumpfen Knall werden dann aus vermeintlichen Verlierern plötzlich Sieger!
Das Gesellschaftliche ist an diesem Freitagnachmittag übrigens mindestens genauso wichtig wie das Sportliche. Zwischen Schießen, Mitfiebern, Stöcke einsammeln und Seite wechseln bleibt nämlich viel Zeit zum Plaudern und Urlaubserlebnisse austauschen. So höre ich, dass Herbert gleich neun (9!) Wochen hier Winterurlaub macht, und das seit vielen Jahren. „Bei uns in Bochum regnet’s ja nur“, meint er trocken. Mit seiner Leistung ist der Routinier heute allerdings nicht zufrieden: „Ich war noch nie so schlecht wie heute, immer triftet mein Stock links ab“. Doch er nimmt’s mit Humor und fachsimpelt kurz darauf mit Siegfried und Dieter über Parallelen zum Kegeln. Hans erzählt, dass die Krüner genau hier, wo wir jetzt auf Eis Spaß haben, im Herbst groß Almabtrieb feiern. Steffen gefällt das Spiel so gut, dass er meint: „Wir müssten jeden Tag herkommen“. Und unsere blutigen Anfänger, Bärbel 2 und Dieter, sind ebenfalls mit Feuereifer dabei und schwärmen zwischendurch von den Winterwanderwegen rund um Mittenwald, Krün und Wallgau.
Siegerehrung im Stüberl
Gravierte Zinnteller, bemalte Holzscheiben, gerahmte Urkunden, Pokale in allen Größen, alte Fotos, Hinterglasbilder dazwischen Kästen mit Mittenwalder Bier – das Stüberl des EC Krün ist der ideale Ort für die Siegerehrung. Als wir gemütlich beieinander sitzen, zeigt Hans uns richtige Wettkampfscheiben und erzählt, dass er schon 1956 als 17-jähriger Jungspund mit dem damaligen Europameister EC Krün zum Turnier dufte. Also, von wegen Alt-Herren-Sport!
Unser zweiter Moar Stephan, dessen Vater wie er schon Vorstand des EC Barmsee war, übernimmt schließlich die Siegerehrung. Während die Woche davor 40 Gäste zum Gäste-Schießen kamen, ist unsere kleine Gruppe mit zwei Moarschaften heute klar im Vorteil: Jeder erhält entweder Gold oder Silber. Stolz nehmen wir Handschlag, Urkunden und Nadeln in Empfang. Dieter hält die Urkunde mit seinem Namen hoch und meint: „Die kommt an die Wand!“.
Alle Termine zum Gäste-Eisstockschießen sind im Veranstaltungskalender der Alpenwelt Karwendel zu finden. Anmelden können Sie sich meist sehr kurzfristig.
Vor dem Gäste-Turnier können Sie sich in nahegelegenen Restaurants stärken, zum Beispiel nebenan in der Krüner Stub’n.
Und hier geht‘s zur Winter-Seite mit vielen weiteren Anregungen für Ihren Winterurlaub in der Alpenwelt Karwendel.