Blog Archiv 2017 - von Andrea Schmölzer
Schätze der Maschkera
Die „Larve“, eine handgeschnitzte Holzmaske, ist das Um und Auf echter „Maschkera“. Im Werdenfelser Fasching ziehen sie durch Gassen und Wirtshäuser, musizieren, jodeln oder juchzen dabei. In Mittenwald, der Hochburg dieser Jahrhunderte alten Gaudi, hütet Geigenbauer Georg Neuner seine Larven wie einen Schatz. Kein Wunder: Einige stammen von seinem Urgroßvater, der den Maschkera-Kult geprägt hat wie kaum einer.
Kaum bin ich durch das große Holztor ins Haus der Neuners gelangt, schauen mich viele Gesichter an: feine Züge mit rosa Backen und zarten Locken, grimmige bärtige mit gerunzelter Stirn, markante Hakennasen, ein heimtückisch Grinsender, dazu ein Mohr, der an das Bistum Freising erinnert und bis heute das Mittenwalder Wappen ziert. All diese Larven hat Geigenbauer Georg Neuner in zwei Vitrinen gesammelt, eine schöner als die andere. Ich staune.
Alteingesessene Maschkera-Familien wie die von Georg Neuner haben einen großen Fundus an Larven. Die kunstvollen Masken sind seit Generationen im Familienbesitz und werden liebevoll in Tücher gewickelt und in Truhen, Schränken und Kommoden verwahrt. Heute schenken Eltern sie gern ihren Kindern zur Kommunion oder Firmung.
Geigenbauer und Larvenschnitzer zugleich
Das Schnitzen hat Georg Neuner sich selbst beigebracht, denn als Geigenbauer weiß er schon, „wie man die Eisen scharf macht.“ Dazu verweist er noch auf die „Gene vom Urgroßvater“. Joseph Pfeffer, mit Beinamen „Odler“ war ebenfalls Geigenbauer und prägte die hiesige Larvenschnitzkunst wie kaum einer. Zwei seiner Masken, datiert mit 1875 und 1886, hütet Neuner wie einen Schatz. Vorsichtig nimmt er sie aus der Kiste. Dass sie die Zeit so gut überstanden haben, ist nicht selbstverständlich.
Auch eine Nackler-Larve holt Georg Neuner für mich aus dem Schrank, von Fachleuten auf etwa 1735 datiert. Augen-, Nasen und Kinnpartie sind nur mit Metallklammern verbunden und bleiben so beweglich. Von diesen ausdrucksvollen Holzgesichtern mit ihren übergroßen Augen geht heute noch ein eigentümlicher Zauber aus.
Maschkera – früher und heute
So phantasievoll und detailfreudig wie all diese Larven ist offenbar auch das Treiben ihrer Träger, vor allem hier in Mittenwald . „Es ist bärig, wenn ein Rudel Maschkera bei uns am Obermarkt vorbeizieht. Sie jodeln und musizieren wie früher“, erzählt Georg Neuner begeistert von seiner Leidenschaft. Dass „die Jungen wieder gut Maschkera gehen“ und sich viel Neues einfallen lassen, freut ihn, der selber seit über 45 Jahren mitmischt, besonders. Und gut heißt für ihn, dass sie sich damit auseinandersetzen und nicht einfach eine „Larve aufsetzen und dann glauben, dass sie Narrenfreiheit haben“.
„Gut“ Maschkera gehen, heißt auch möglichst unerkannt zu bleiben. Dazu verändert man jede Eigenart, seinen Gang, das Benehmen und natürlich die Stimme. Ein Maschkera spricht nicht, er „ruozt“ (raunzt) mit seiner Kehlstimme. Hielt man früher gern eine Art Femengericht über Anwesende, die etwas am Kerbholz hatten, so wird heute mehr Musik gemacht.
Die ist eigentlich Neuners Metier: Als Geigenbau- und Drechslermeister lehrt Neuner seit über 35 Jahren an der Mittenwalder Instrumentenbauschule. Er schätzt, dass es um die 50 Musikgruppen im Geigenbauort gibt. Im Gegensatz zu früher hätten die jungen Leute heute obendrein eine tolle Ausbildung und gute Instrumente.
Überhaupt sind Maschkera am liebsten in Gruppen unterwegs. Neuner schwärmt von der Spontanität, „ohne dass es „eing’sagt“ ist. Man trifft sich an Maschkera-Tagen – montags, dienstags oder donnerstags – bei einem „Spezi“. Dann zieht man traditionelles G‘wand der Altvorderen an, versteckt Haare und Ohren unter einem Kopftuch, setzt die Larve auf (da tauscht man auch gerne untereinander), und los geht’s.
Die „Gungl“ – der Treffpunkt der Maschkera
Beliebtester Treffpunkt ist die „Gungl“, früher tagsüber in Bauernstuben, heute abends in Mittenwalds Wirtshäusern. Dort holen Maschkera die Mädchen zum Tanz. In den letzten Jahren sei erfreulich mehr los als früher. Lachend erinnert sich Neuner an eine Gungl in der Alpenrose: „Da waren plötzlich zwei Gruppen Daxenmannln, die Wirtschaft war wie ein halber Wald. Einer hat sogar ein Oachkatzl am Kopf g’habt.“ Das Daxenmannl ist eine der traditionellen Figuren, Tannen- und Fichtenzweige sind seine „Kleider“. Neuner zählt noch ein paar andere auf, etwa das „Fleckerlg’wand“, dessen Kostüm aus lauter kleinen Stoffresten besteht, oder den Predikanten, mit dem man früher die evangelischen „Pfaffen“ auf die Schippe nahm.
Nach alter Redensart darf man seine Larve übrigens nie außerhalb der Fasenacht aufsetzen, weil sie einem sonst ins Gesicht wächst. Geschichten ranken auch um den Ursprung der Schnitzerei. Waren die Tiroler die ersten, die Geigenbauer oder doch ganz andere? Doch all die geheimnisvollen Mythen und wer genau in der Schnitzkunst von wem abgeschaut hat, nimmt Georg Neuner nicht zu wichtig. Wichtiger ist ihm, dass die Tradition „aus dem Bauch raus kommt“ und: „Sie muss halt leben“. Und das tut sie offensichtlich.
Woher kommt diese Tradition…?
Nirgendwo im bayerischen Raum ist die Fastnacht so lebendig und ursprünglich wie im Werdenfelser Land. Ursprünglich ging es um Dämonenabwehr, Ahnenkult und Fruchtbarkeitszauber. Immer um die Wintersonnwende wollten die Urahnen mit Lärm und Masken den Winter und die bösen Geister aus ihren Orten treiben und die Kräfte der Erde „aufwecken“. Daher kommt auch der Name Fasenacht: „faseln“ bedeutet wachsen und gedeihen. Frauen waren übrigens selten dabei. Und wenn man sie erwischte, wurden sie auf den Kopf gestellt und (mit Bier) „gekübelt“.
Traditioneller Fasching – von Dreikönig bis Aschermittwoch
Maschkera sind bis Aschermittwoch unterwegs. Vor allem am unsinnigen Donnerstag, Fastnachts-Sonntag und -Dienstag ist im Werdenfelser Land alles auf den Beinen. Besonders nah kommt man den Maschkera bei der Gungl – montags, dienstags und donnerstags – in den Mittenwalder Wirtschaften. Hier geht’s zum Kalender mit den wichtigsten Veranstaltungen und zu weiteren Eindrücken vom Faschingstreiben in der Alpenwelt Karwendel.
Kleines Glossar der wichtigsten Fastnachtsfiguren im Werdenfelser Land:
Schellenrührer: In Mittenwald , Krün und Wallgau starten am Unsinnigen Donnerstag die Schellenrührer. Mit gesprungenen Schritten bringen 12 Maschkera in der „Kurzen“ (Lederhosen) die schweren Kuhglocken zum Läuten, die sie um die Körpermitte gebunden haben. So mancher trägt dabei Schmerzen und blaue Flecken am Rücken davon.
Untersberger Mandlan: Sie erinnern an die Sage vom Salzburger Untersberg und sollen überdimensionale Kobolde oder Spukgestalten sein. Meist Mann und Weib mit übergroßen Hüten und Holzmasken, die den Oberkörper bedecken.
Mühlradl: Das wird am unsinnigen Donnerstag durch die Straßen gezogen. Fast ein Dutzend Maschkera ziehen einen Baumstamm, auf dem zwei Wagenräder montiert sind. Auf diesen Rädern versuchen zwei Maschkera sitzend das Gleichgewicht zu halten.
Fleckerlmann: Er trägt einen Anzug, der von Kopf bis Fuß aus kleinen bunten Flecken zusammengenäht ist. Am Kopf trägt er traditioneller Weise eine braun oder rot gefärbte Larve. Das „Flecklegewand“ wird meist vom Vater auf den Sohn vererbt.
Bärentreiber: Vielleicht soll der Bär den Winter darstellen, vielleicht ist er ein Relikt von den welschen Bärentreibern und Zigeunern. Als „Bruno“ über den Mittenwalder Kranzberg zog, war diese Faschingsfigur in der Alpenwelt Karwendel wieder besonders aktuell.
Mehr über unsere Maschkera
Im Beitrag von Angela Braun/Bayern 2: „Die Fosnacht im Werdenfels – 500 Jahre Tradition“, berichten noch mehr Mittenwalder über die narrische Zeit!
Wer mehr über die Mittenwalder Maschkera wissen möchte, liest am besten in Dirk Eckerts Buch „Die Werdenfelser Fasnacht und ihre Larven" (Volk Verlag) nach.