Blog Archiv 2018 - von Andrea Schmölzer
Der Arbeitsplatz von Pepi Hornsteiner
Klingt gemütlich: Pepi Hornsteiner wandert im Almsommer durchs Karwendel und umsorgt eine Herde friedlicher Schafe. Doch mit Heidi-Idylle hat das wenig zu tun.
Hööhla – höööhla – geh her da! ruft Josef – Pepi – Hornsteiner. Wo sind sie bloß? In aller Herrgottsfrühe bin ich mit dem Hirten am Fuße des Dammkars in einen schattigen kleinen Graben abgestiegen, den er die Woche davor für etwa 30 Schafe umzäunt hat. Der Tau hat sich über Nacht auf die Blätter und Gräser gelegt, es ist herrlich still. Zielsicher stapft Pepi durch die Huflattichblätter bergauf. Aha, ganz oben sind sie. Und auf einmal kommen große weiße und braune Wollknäuel zwischen Latschen und Bäumen auf uns zugelaufen. Sie wissen ganz genau, dass es jetzt ein Schaf-Leckerli gibt: Kleie mit Salz. Gierig senken sie ihre Köpfe an den Stellen, wo Josef das Gemisch hinstreut. Kein Geblöke, sondern stiller Frühstücksgenuss!

Umringt von seinen Schützlingen zählt Pepi durch, ein Anblick wie aus dem Bilderbuch. – Passt, alle da! Auf rund 500 Mittenwalder Bergschafe muss er den Sommer über ein Auge haben. Natürlich nicht ständig, aber irgendwie doch. Besonders auf die Mütter mit Lämmern, wie hier im Dammkar. 38 Schafhalter vertrauen ihm ihre Tiere an, die er quasi mit ins Sommercamp nimmt. Ein Großteil der Herde ist ab Johanni, also Ende Juni, zuerst bei ihm am Rehberg (Pepi sagt „Rechberg“), einer Alm nördlich der Hochlandhütte. Kleinere Herden – wie die hier – weiden auf anderen Fluren. „Sie halten die Landschaft offen“, erzählt er.

Ohne Schafe und Ziegen würden viele Flächen der Alpenwelt Karwendel „verbuschen“, wie Naturschützer sagen. Und damit gingen artenreiche Feucht- und Magerwiesen verloren.
Also verdanken wir diesen friedlichen Woll-Lieferanten die schöne Landschaft
? Sozusagen.

Wir verlassen die kleine Herde und steigen über den mobilen Weidezaun. Schäferhund-Mischling Luna – Pepis treue Begleiterin – erwartet uns schon. Pepi schließt den Zaun wieder an die Batterie an. Aus Angst vor Wölfen? „Na, bei uns hamma no koan g’seng“, gibt er Entwarnung. Doch der Schutz vor Wildtieren ist durchaus ein Thema. Speziell auf der Bärenalpe. Dort hinüber ins benachbarte Tirol zieht etwa die Hälfte der Herde im Hochsommer. Prinz von Coburg macht’s möglich, man sagt, er schätze die vierbeinigen Landschaftspfleger auf seinem Almboden sehr. In einer langen Schlange ziehen die Schafe Mitte Juli vom Rehberg über den ausgesetzten Gjaidsteig nach Tirol. Der Steig ist ganz schön happig. Schon allein deshalb lässt Pepi zum Beispiel hochträchtige Tiere lieber auf dem Rehberg. Aber auch weil ein Adler sich vor ein paar Jahren einige kleine Lämmer geholt hat. „Wir füttern ned die Tiroler Adler mit unsere Lamperl“, scherzt er.

Was er denn am meisten fürchte?
„Steinschlag“, kommt es prompt. Oder dass ein Tier am Gjaidsteig abstürzt. „Ich möcht‘ ja doch wieder alle heil runterbringen“, sagt er. Ob durch Stein- und Blitzschlag oder Krankheit, vier bis sechs Schafe erwischt es meist doch in so einem Almsommer. Pepi meint: „Das is‘ tragisch, aber es g’hört dazu“.
Wir müssen weiter. Schließlich ist weit oben in den Felsen noch eine kleine Herde zu versorgen. Also geht’s weiter das Dammkar hinauf, Luna saust vor. Das Dammkar kennen viele nur im Winter, wenn sie Deutschlands längste Freeride-Skiroute
herunterwedeln. Im Sommer ist es morgens angenehm kühl, wenn die Sonne sich noch hinter der Nördlichen Karwendelkette verschanzt. Im Sommer 1992 begann Pepi als Hirte der „G’moa“, der Gemeinde. In seinen alten Beruf will der gelernte Metzger nie wieder zurück. „Hier bin ich mein eigener Herr“, sagt er und schaut wie als Bestätigung in die imposanten Felsflanken des Karwendel
. Sehr zufrieden wirkt er.
Langsam aber sicher lichtet sich der Wald, immer mehr Latschen säumen den Weg , dazwischen leuchten Almrausch und jede Menge Bergblumen. Luna rennt vorneweg, wir folgen den Serpentinen durch das einsame Kar.

An so sonnigen Tagen wie heute sieht das – bis auf den schweren Rucksack mit Kleie und Salz – gemütlich aus. Doch als er weiter erzählt, hört es sich nicht gerade nach einem Honigschlecken an. Von Johanni bis Kirchweih, also von Ende Juni bis Mitte Oktober, ist Josef im Einsatz – Urlaubssperre! Meist zieht er um halb Sieben – an heißen Tagen oder wenn schwere Gewitter im Anmarsch sind, auch schon vor Sechs – los. Dann heißt es zu schauen, wo die Schafe sind, ob alle gesund sind, Kleie und Salz, aber auch mal mobile Weidezäune schleppen. Entscheiden, wo welche weiden, die Zäune setzen. Dazu die Alm in Schuss halten, Nachschub vom Tal hinauf tragen, Gäste bewirten. Puh!

Manchmal aber ist Josef selber Gast. So wie jetzt. Wir sind nämlich an der Dammkarhütte angekommen. Hüttenwirtin Andrea Reindl und ihr Mann Leo begrüßen uns.
Kaffeepause!
Sie nehmen Josef auf die Schippe und schlagen eine Kontaktanzeige vor: „Rüstiger Senner mit Hund sucht Schafe“. Während die Drei ein paar Neuigkeiten austauschen, sehe ich mich um: Flach geduckt mit Steinfassade fügt sich die Hütte mit hellblauen Fensterläden perfekt in die Landschaft. Von Anfang Mai bis Ende September lässt sich hier einkehren und die Aussicht von der Terrasse ins Isartal genießen. Etwas abseits bewundere ich das wunderschöne, vom Wetter gegerbte Holz-Kruzifix. „Das ist fast 60 Jahre alt“, erzählt Andrea Reindl. Und dass sie es natürlich über den Winter abbauen.