Blog Archiv 2017 - von Andrea Schmölzer
Ein Amerikaner in der Alpenwelt
Steve ist schon über 30-mal zu Gast in Mittenwald. Mit dem smarten Kalifornier und Alpenwelt-Kenner zum Lautersee zu wandern und seine Geschichten zu hören, ist großartig. Das Erstaunlichste aber sind seine Notizbücher: Jeder Besuch mündet in ein Tagebüchlein voller Erinnerungen, Tipps und jahrelanger Bekanntschaften.
Mittenwald calling
1996 zeigte ihm seine Augsburger Freundin Inge den Geigenbauort. Für Steve war es Liebe auf den ersten Blick – mit dem Ort und den Bergen rings rum versteht sich. Inge und er sind Freunde. „For some reason Mittenwald kept calling me back“ – Also folgte er dem Ruf in die Berge Oberbayerns und ist seither immer wieder gekommen.
Seit seiner Pensionierung vor über 10 Jahren kommt der ehemalige Banker, spätere High-School-Lehrer und Tenniscoach zweimal im Jahr in die Alpenwelt Karwendel und bleibt gleich einen Monat. Das gibt ihm viel Zeit, genau hinzusehen. Das Ergebnis bemerke ich auf unserer Tour sofort. Er holt mich vom Bahnhof Mittenwald ab, marschiert zielsicher durch den Ort. Auf unserer Tour zu Lauter- und Ferchensee kennt er fast jeden Stein, in Gastwirtschaften wird er mit seinem Vornamen angesprochen. Obendrein hat er ein Auge für Details. Beispielsweise er amüsiert sich köstlich über fünf fressende Schafe, die neben seinem „Traumhaus“ wie ein Rasenmäher nebeneinander herlaufen. Unterm Strich war er auf den Wegen , Gipfeln , Gasthäusern und Hütten der Alpenwelt Karwendel sicher schon viel öfter als so mancher Einheimischer.
Allerdings währte Steve‘s Liebe zu Deutschland schon viel länger. Mitte der 1960er Jahre kam er nach Frankfurt und brachte ein besonderes Souvenir mit nach Kalifornien: einen hellblauen VW-Käfer, mit dem er zuvor 7000 Meilen quer durch Europa kurvte. Sein Nachfolger – beige, Baujahr 1969 – hat heute sage und schreibe 758.000 Meilen auf dem Buckel. „Deutsche 1“ nennt Steve den Käfer liebevoll. Außerdem sammelt der Bayern-Liebhaber „cow bells“, echte Kuhglocken mit schönen Lederbändern dran.
Die Alpenwelt-Webcam zum Frühstück
Beim Frühstück und seinem „morning coffee“ checkt Steve, der nahe Los Angeles im fernen Amerika zu Hause ist, über die Webcams wie das Wetter gerade in seinem geliebten Mittenwald ist. Regen findet er übrigens ganz OK. Am besten gefällt ihm nämlich, dass Bayern so schön grün ist. Er schätzt „every shade of green“ und damit den wohltuenden Kontrast zum meist trockenen, kargen Kalifornien – und natürlich „the beer“.
Eines Tages erhalte ich seine E-Mail, dass die Webcam leider nicht funktioniere. Es folgte ein reger Mail-Austausch, bis die Webcam wieder lief. Im Jahr darauf trafen wir uns persönlich. Seither sehen wir uns jedes Jahr, plaudern über die Berge, das Wetter, auch mal über Politik und Gesellschaft. Ja und natürlich über seine Erlebnisse in Mittenwald und der Alpenwelt.
Steve liebt Rituale, Vertrautes. Bei jedem Besuch schaut er auf der Brunnsteinhütte, beim Hirten Max auf der Finz Alm oder eben hier am Lautersee vorbei. Allerdings muss er seit seiner Knie-OP beim Wandern besser aufpassen, wohin er steigt. Wenn ich’s nicht wüsste, hätte ich es jedoch nie bemerkt.
Ein ganz besonderes Notizbuch – #33
Während seiner Urlaube pflegt Steve ein weiteres wichtiges Ritual: An jedem Abend sitzt er mit einem Schnaps auf dem Balkon bei „Sabine“ (Anm. der Redaktion: im Gästehaus Döring) und schreibt sich von der Seele, wo er war, was er erlebt hat und wer ihm begegnet ist. Damit schafft er es, „to re-live the day“, also den Tag noch einmal zu erleben. Seine „ultimate diary“, sprich das ultimative Tagebuch, dokumentiert 33 Deutschland-Trips, davon 30 Mal Mittenwald.
Nummer 33 ist klein und unscheinbar, auf den ersten Blick wirkt es wie ein Notizbuch wie jedes andere. Irrtum, GROSSER Irrtum! Der Inhalt ist ein jahrelang optimierter Mix aus Erinnerungen, Best-of-Listen, Fundstücken oder Geschenken. So hält er darin alle möglichen für ihn persönlich wichtigen Details fest. Beispielsweise wird darin verewigt, wer ihm einen Marillenschnaps ausgegeben hat, wo er zum Essen hingeht, ob es dort seine Leibspeise (Jägerschnitzel) gab oder was er bei seinem nächsten Besuch keinesfalls vergessen darf.
Laufend hat der Alpenwelt-Fan neue Kapitel hinzugefügt. Besonders interessant finde ich die „Firsts“. Immerhin sind diesem Kapitel die „ersten Male“ wie neue Routen oder das erste Mal, dass das Huhn auf der Brunnsteinhütte an seinen Füßen gepickt hat, festgehalten. Und die „Great Moments“. Dabei erzählt Steve begeistert vom Wanderbus-Fahrer Rainer, der ihm von weitem „Hello California!“ zuruft.
Witzig sind die Kategorie „Fehler“, die er künftig meiden muss und was er alles während seines Urlaubs gefunden hat. Aber auch seine Wetterdaten und die „Trip Summary“, die an die Bilanz nach dem Oktoberfest erinnert, sind lustig. Anstelle von Bier, Haxen und Hendl summiert er Zug- und Busfahrten, Seen, Hütten und Almen. Für alle möglichen Wetterlagen seiner Urlaube in der Alpenwelt hat sich Steve aus Platzgründen übrigens Abkürzungen überlegt, von „LD“ für leichten Nieselregen bis zu „CWS“ Wolken mit Sonne.
Sein Geheimnis: „My way“
Warum er seine Freunde nicht schon längst mitgebracht hat, will ich wissen. Schließlich gefällt es ihm doch hier in der Alpenwelt Karwendel so gut, so vieles findet er „amazing und phantastic“. Geheimnisvoll lächelnd schüttelt er den Kopf und meint, das würde ich nicht verstehen. Anschließend erklärt er mir doch, dass er dann der Tourguide sein müsste, worauf er gar keine Lust habe. Überhaupt möchte er verhindern, dass „sein“ Mittenwald allzu bekannt wird. Viel lieber möchte er es weiterhin für sich genießen.
Der offene und überzeugte Amerikaner schätzt das echt Bayerische hier und natürlich die vielen Bekannten, die ihn mittlerweile im Ort von weitem grüßen. Alle netten Begegnungen finden natürlich Platz in seinen Büchlein, vermutlich auch ich. Dafür hat er sogar zwei eigene Kapitel: „People to remember“ und „People I saw again“.
Nun, all das möchte Steve nur ungern mit anderen (amerikanischen) Touristen teilen. „Keep it a secret“, sagt er. Ob ich Frank Sinatras Song „My way“ kennen würde? Ja klar! – Genau so sei das mit ihm und Mittenwald. Deshalb würde er seinen Urlaub in der Alpenwelt gern auf seine persönliche Art machen und andere außen vor lassen. Auch einer japanischen Stewardess der Delta Airlines, der Steve zweimal in Mittenwald begegnet war, ging es offensichtlich so. Sie bezeichnete Mittenwald als „Heaven“ und wollte den „Himmel“ lieber für sich behalten.
Doch immerhin erlaubt mir Steve, diese Geschichte zu veröffentlichen. Aber NUR, weil der Blog in deutscher Sprache erscheint. Thank you Steve!
Mehr zu Steve’s Lieblingswanderungen in der Alpenwelt, zum Beispiel zu Lauter- und Ferchensee, zur Brunnsteinhütte oder zum Krüner Hirten Max auf die Finz Alm, steht hier im Tourenmodul .